Strange Days - Band 2

 

Leseprobe 1

 

»Nein«, sagte David bestimmt.

»Wie bitte?!« Die Frau namens Jess stemmte schon wieder die Hände in die Hüften. David musterte ihr zorniges Gesicht. Buschige Augenbrauen zogen sich über einem Paar eng zusammengekniffener, stahlgrauer Augen zusammen. Ihre vollen Lippen wirkten normalerweise wahrscheinlich ziemlich scharf, jetzt waren sie aber zu einer Grimasse verzerrt und legten ebenmäßige Zähne frei. In einem der oberen Schneidezähne steckte ein kleiner Edelstein, außerdem war ihre Unterlippe im rechten Mundwinkel mit einem Ring gepierced. Die zierliche Stupsnase war umgeben von Sommersprossen und kräuselte sich vor Wut.

»Weißt du«, sagte er, »du könntest echt was aus dir machen. Aber so ...« Er machte eine Geste, die ihr gesamtes Äußeres umfasste und verzog abfällig die Lippen. »Zieh dir was Heißeres an, mach irgendwas mit deinen kranken Haaren und werd‘ verdammt noch mal ein bisschen lockerer, Mann. Dann sieht das nach was aus!«

Jess starrte ihn einige Sekunden lang mit aufgerissenen Augen an. Dann zischte sie: »Sag mal, hast du sie eigentlich noch alle?« Sie preschte vor, schnappte sich Davids Kragen und zog ihn dicht an ihr Gesicht heran. Dazu musste sie ihn ein gutes Stück nach unten bugsieren, denn sie war höchstens einen Meter sechzig groß. »Verpiss dich endlich! Ich hab‘ hier Wichtigeres zu tun, als mir von einem strunzdämlichen Kiffer Stylingtipps geben zu lassen!«

David schüttelte den Kopf und verzog lächelnd einen Mundwinkel. »Uh-uh. Entweder ich gehe mit dir da rein, Mann... oder keiner von uns geht.«

Ihr Griff wurde noch fester. Sie presste ihre Nasenspitze auf seine. »Wenn du nicht gleich Leine ziehst, überlege ich es mir anders und stech‘ dich doch noch ab, du blöder Wichser!«

Sie war beinahe überzeugend. Aber David hatte genug Poker-Partien hinter sich, um sein Gegenüber gut einschätzen zu können. Er kam zu dem Ergebnis, dass er hier auf Risiko spielen musste. Sie hatte die Wachmänner nicht getötet. Sie würde auch ihn nicht töten. »Uh-uh«, sagte er noch einmal. »Ich bleib‘ hier. Kuck doch mal, Mann: Wir wollen beide da rein, oder? Warum also nicht zusammenarbeiten?«

»Weil ich nicht mit einem Stück Scheiße zusammenarbeiten möchte?!«

David griff an seinen Kragen, entfernte mit sanfter Gewalt ihre Hand und zuckte mit den Achseln. »Tja, du hast die Wahl, Frau: Entweder wir machen das zusammen oder du musst mich abstechen. Wenn du da reingehst, bin ich jedenfalls dabei, Mann!«

Für kurze Zeit stand sie nur schwer atmend da. Dann griff sie sich in die langen Locken, warf den Kopf in den Nacken und brüllte laut: »RRRRRAAAAH!!!«

»Hör mal«, sagte David ruhig, »du kannst hier natürlich noch ‘ne ganze Weile rumstehen und den wilden Affen machen. Aber ich schätz‘ mal, die Wachmänner werden nicht ewig k.o. sein. Oder sie werden irgendwann mal abgelöst oder so was. Vielleicht gibt es hier auch noch mehr von den Typen. Also wenn ich du wäre, dann würd‘ ich schnell vom Eingang weg wollen, Mann.«

Ihr Atem ging schwer und stoßweise. »Nein, es gibt keine weiteren Wachmänner mehr, du ... du ... dämliches Arschloch ...«

»Und statt zu fluchen könntest du jetzt schon da drin sein und machen, was immer du abziehen wolltest«, stellte David nüchtern fest.

Jess schüttelte kräftig den Kopf, ließ die Schultern hängen und fasste sich an die Stirn. »Ich glaube das alles nicht«, murmelte sie, straffte sich dann wieder und sah ihm fest in die Augen. »Ich habe zu lange auf diese Nacht hingearbeitet, um sie jetzt ungenutzt verstreichen zu lassen. Wer weiß, ob ich noch mal so eine gute Chance bekomme.« Sie krallte sich wieder in seinem Shirt fest und zog ihn zu sich heran. »Willkommen an Bord! Wir haben eine gute halbe Stunde, bis von den Typen da hinten erwartet wird, sich bei ihrer Leitstelle zu melden. Bis dahin müssen wir von hier verschwunden sein, klar? Und wehe, du machst mir noch mehr Ärger! Dann reiße ich dir den Arsch bis hoch zu den Ohren auf! Haben wir uns verstanden?«

David nickte und lächelte überheblich. »Na siehst du, Mann. Geht doch!«

Ihre linke Hand schoss blitzschnell vor, griff in seinen Schritt und drückte zu, gerade so weit, dass der Schmerz noch halbwegs auszuhalten war. Dann zischte Jess: »Übertreib‘s nicht, ja?«

Er stöhnte gepeinigt auf, hob beschwichtigend die Hände und verzog das Gesicht. »Alter! Schon gut, schon gut!«

»Sicher?«

Der Druck wurde fester. Vor Davids Augen explodierten weiße Sterne und seine Knie wurden weich. »Ja, Mann. JA!!«

Erst nach zwei weiteren Atemzügen ließ sie endlich los. »Okay, ich sehe, jetzt verstehen wir uns.«

David stützte sich mit den Händen auf den Knien ab und kniff die Augen zusammen, bis das Pochen nachließ. Dann versuchte er, sich aufzurichten, ohne dass Jess ihm ansah, wie stark die Nachwirkungen ihres Griffs noch immer waren. Er nickte in Richtung Drehtür und fragte mit brüchiger Stimme: »Da drin ... sind echt keine Wachmänner mehr?«

»Nein, du Penner! Es gibt nur drei – zwei für draußen, einen für drinnen. Die Typen verlassen sich ansonsten auf ihre technischen Spielereien.«

»Also ... nichts wie rein da ... Mann!«

Ein grimmiger Blick, dann brummte sie: »Fass ja nichts an, okay? Ich mache das!«

»Kein ... Problem«, entgegnete er, als er breitbeinig und humpelnd hinter ihr an die Drehtür herantrat. »Hauptsache ... wir kommen rein.«

Sie beugte sich zu der Stelle hinab, an der sie das Paneel entfernt hatte. Dort gähnte nun eine vielleicht zwanzig mal zehn Zentimeter große Öffnung. Es sah aus, als wäre dahinter eine Art Mechanismus angebracht. Hatte wohl mit der Steuerung der Drehtür zu tun, der shize.

Jess säuselte mit hoher Stimme: »Murphy! Abrakadabra!«

Was war das jetzt wieder für ‘ne abgefahrene Aktion? »Mann, was machst du denn da? Warum redest du mit der Tür?«

Ihre Brauen verengten sich, sie legte einen Finger an die Lippen und deutete auf ihre Ohren. Da hörte David es: Ein leises, bestätigendes Quieken, das von irgendwo hinter dem Loch kam. Kurz darauf erklangen knackende und zischende Geräusche. Etwas blitzte in dem Hohlraum auf, im selben Augenblick roch David verschmortes Plastik. Trippelnde Geräusche näherten sich hinter der Wand dem Loch. Plötzlich tauchte darin ein Frettchen auf!

Er rief verdattert aus: »Alter!«

Jess ignorierte ihn, beugte sich vor und ließ das Vieh ihren linken Arm hinaufkrabbeln. Es erreichte die Schulter und beugte sich um ihren Kopf herum, um sich einen Kuss auf die Schnauze abzuholen. Sie griff in eine Hosentasche und zog daraus ein Stück Hartkäse hervor, dann säuselte sie wieder mit hoher Stimme: »Das hat er aber feiiin gemacht, mein kleiner Murphy!« Sie brach ein Stück von dem Käse ab und reichte es dem Tier. Dieses ergriff es gierig und hielt es mit den Vorderpfoten fest, während es quiekend daran herumknabberte.

»K ... Käse?!«, war alles, was David herausbrachte.

»Ja«, fauchte sie, auf einmal wieder total aggressiv. »Den liebt er. Etwa was dagegen?«

»Aber ... aber solche Viecher fressen keinen Käse, Mann.«

»Mein Murphy schon!«, blaffte sie und kraulte den Angesprochenen dann unterm Kinn. »Mein Murphy maaag sein Käse-Feini, niiicht?«

Murphys Gequieke und Gezappel nach zu urteilen mochte er das in der Tat. Jess wartete ab, bis das Frettchen den Käse aufgefressen hatte, dann nahm sie es und stopfte es sich zwischen die Brüste. Als sie dabei den Kragen ihres Sweatshirts dehnte, erhaschte David einen Blick auf ihre Möpse. Gut bestückt war sie, das stand jedenfalls fest.

»Denk nicht mal dran, Arschloch!«

Und schon wieder hob er abwehrend die Hände. »Schon gut, schon gut!«

Sie seufzte, verdrehte die Augen und wandte sich der Drehtür zu. »Hier kannst du mir sogar mal von Nutzen sein. Hilf schieben, du Arsch!«

»Gleich, Mann«, meinte David, dem etwas eingefallen war. Er suchte den Boden vor dem Eingang ab. »Lass mich nur eben die Knarre von dem Wachmann ...«

»Nein!«, sagte sie entschieden. »Keine Schusswaffen! Hier wird niemand ernsthaft verletzt, klar?«

Ein Blick in ihre glühenden Augen genügte. »Klar«, seufzte er.

Gemeinsam stemmten sie sich gegen einen Flügel der Drehtür und schoben diese dann mit vereinten Kräften so lange im Kreis herum, bis sie sich im Inneren des Gebäudes befanden. Beinahe augenblicklich leuchteten über ihren Köpfen einige Lampen auf, die den Raum in helles, steriles Licht tauchten. David zuckte geblendet zusammen und dachte: Kacke, wir sind ertappt!

Doch Jess wirkte überhaupt nicht beunruhight, so als habe sie damit gerechnet, dass die Beleuchtung anspringen würde. Womöglich wurde der Scheiß ja über Bewegungsmelder gesteuert. David beschloss, so zu tun, als wäre ihm das ebenfalls klar gewesen.

Bloß keine Nerven vor der Kuh zeigen!

Die Eingangshalle war jetzt krass hell erleuchtet und zum ersten Mal war er froh, dass der Firmensitz der Leuen Corp. so weit außerhalb der Stadt und somit vor neugierigen Blicken verborgen lag. Er drehte sich um die eigene Achse und rief triumphierend: »Yeah! Wir sind drin!«

Als keine Reaktion kam, zeigte er auf Jess´ Brust und fragte: »Hat das Vieh ...«

»Murphy!«

»Okay, okay! Also hat Murphy gerade wirklich den Mechanismus ausgeschaltet, Mann?«

Ein stolzer Ausdruck stahl sich auf ihr Gesicht. »Ja, das hat er. Ich habe ihn darauf trainiert, auf ein Codewort hin wie wild zuzubeißen. So hat er die Blockierung der Tür gelöst.«

Sie streichelte über die Stelle zwischen ihren Brüsten, wo das Frettchen sich befinden musste. »Er ist ein Guuuter, mein kleiner Murphy, niiicht?«

David starrte auf ihre Hand und spürte, wie gewisse Hormone in ihm zu zirkulieren begannen. Sie bemerkte es, nahm die Hand von der Brust und deutete damit anklagend auf ihn. »DENK nicht mal dran, ARSCHLOCH!«

Er schüttelte energisch den Kopf, um die darin kreisenden Bilder loszuwerden. Verdammt, was dachte er sich eigentlich dabei? Die Frau war ohne Frage vollkommen durchgeknallt, viel zu aggressiv und mit ihrem komischen Öko-Look auch so rein gar nicht sein Typ. Aber da war irgendwas an ihr … wie sie ihn gepackt und auf seinem Rücken gesessen hatte, dieser animalische Zug … David konnte einfach nicht anders, sie erregte ihn. Musste an Ramons Joints liegen. »Okay, okay! Sorry, Mann!« Er kniff sich in den Nasenrücken und versuchte, etwas Konzentration zurückzuerlangen. »Sag mal, wie läuft das jetzt eigentlich weiter?«

Ihre buschigen Brauen hoben sich verwundert. »Was meinst du?«

»Also …« David breitete die Arme aus. »Du hast doch bestimmt einen Plan. Du bist hier drin, wo willst du also als Nächstes hin, Mann? Und müssen wir auf Kameras aufpassen und so? Wo sind hier die wertvollen und geheimen Sachen versteckt? So was eben.«

»Du willst mir doch nicht etwa erzählen, du hättest keine Ahnung, oder? Hast du dich denn überhaupt nicht vorbereitet?«

David zuckte die Achseln. »Nö. Dachte, das wird sich schon irgendwie alles ergeben.«

Ihre Augen bohrten sich in seine. Wäre es möglich gewesen, dann hätte sie mit diesem Blick seinen Schädel durchlöchert, da war er sich sicher. »Du bist echt das dämlichste, hirnverbrannteste, bescheuertste Stück Müll-DNA, das mir je begegnet ist. Wie um alles in der Welt hast du dir das hier denn bitte vorgestellt?! Ich meine, wenn ich nicht zufällig aufgetaucht wäre, hättest du niemals auch nur …«

»Ja, aber du bist ja aufgetaucht, Mann«, konterte David gelassen. »Hat sich doch alles irgendwie ergeben.«

Jess erinnerte ihn an einen Karpfen, als sich ihr Mund mehrmals öffnete und wieder schloss. Schließlich murmelte sie leise: »Aber was du hier möchtest, das weißt du doch hoffentlich, oder?«

David kratzte sich am Kinn. »Also um ehrlich zu sein, Mann …«

»Sag mal, SPINNST DU? Ist bei dir noch alles ganz klar da oben?!« Jess trommelte mit dem Zeigefinger gegen seine Stirn. »Ich kann nicht glauben, dass ich mich mit so was wir dir herumschlagen muss! Ich … ich …«

Sie tigerte wieder im Kreis herum, streckte dabei die Arme aus und ballte die Hände zu Fäusten. Schließlich brach die Frustration in einem neuerlichen, wütenden Aufschrei aus ihr hervor: »RRRRAAAAAAAH!«

David kniff die Augen zusammen und wartete, bis das Klingeln in seinen Ohren nachgelassen hatte. Dann meinte er: »Alter, du solltest echt an deinem Temperament arbeiten, weißt du das?«

Sie legte beide Hände an den Kopf und flüsterte: »Du wirst bestimmt alles ruinieren. Man wird uns erwischen, ich werde ins Gefängnis wandern, alles war umsonst und das nur wegen dir. Und du weißt noch nicht einmal, warum du hier bist …«

»Hey! Das stimmt so nicht, Mann!«

Sie sah zu ihm auf. Ihre Augen verschossen feurige Blitze. »Bitte was?«

»Ist ‘ne krass lange Geschichte, die du mir eh nicht glauben würdest. Aber ich weiß, dass dieser Leuen irgendwelchen cränken shize am laufen hat. Ich hab keinen Schimmer was es ist und wie er es anstellt, aber irgendwas an dem Typen und seinem Laden ist gewaltig faul. Und ich bin hier, um herauszufinden was das ist, Mann.«

In einer sarkastischen Geste reckte sie den linken Daumen empor. »Spitzenplan, das muss ich schon sagen.«

»Statt an mir rumzunörgeln, könntest du mir ja auch mal stecken, wie dein Plan so aussieht«, brummte David. Jetzt war er auch genervt.

Sie grollte lange und tief. »Also pass auf. Ich erkläre dir jetzt, warum ich hier bin, wie das hier weiter läuft, worauf du aufpassen und was du gefälligst lassen musst. Wenn du dich an alles hältst, besteht eventuell eine Chance, dass wir erfolgreich sind und heil aus der Sache herauskommen. Und das tue ich nur, weil du mir mit Sicherheit alles vermasselst, wenn ich dich hier alleine herumlaufen lasse. Kapiert?«

David grinste breit. »Klar, Mann!«

Erneutes Grollen. Und ein Geräusch, das David nach einer Sekunde als das Knirschen ihrer Zähne identifizierte. Mühsam entkrampfte Jess die geballten Fäuste. »Na gut«, presste sie hervor. »Und da wir nicht ewig Zeit haben, erzähle ich es dir unterwegs.«

»Kein Problem, Mann!«