Strange Days - Band 3

 

Leseprobe 1

 

Alex und David glichen ein weiteres Rollen des Schiffes dadurch aus, dass sie sich an der Tischplatte festhielten. Der Tanker erklomm einen Wellenkamm, neigte sich vornüber und raste ins Tal hinab. Alex machte einen Ausfallschritt und federte die auf ihn einwirkenden Kräfte ab. Er ließ den Tisch los und stakste breitbeinig in Richtung Tür, wie ein Cowboy, der zu lange auf dem Pferd gesessen hatte. Ungefähr auf halber Strecke bäumte sich das Schiff unter ihm wieder auf. Davids Teller rutschte vom Tisch und schlug klappernd auf dem Boden auf, wo er den Teppich um die eine oder andere Farbnuance bereicherte. Rufe wurden laut. Sie kamen von vorne, von irgendwo jenseits der Tür. Dort schloss sich eine enge Treppe an, die in höher gelegene Decks führte. Die Stimmen klangen aufgeregt, beinahe panisch. Schließlich schrie erneut jemand, und zwar dermaßen schrill, dass sich Alex‘ Nackenhaare sträubten. Mehrere Schüsse krachten, dann ein dumpfes Scheppern, gefolgt von noch mehr Schreien. Jemand rief etwas auf Spanisch, das sich anhörte wie ein Gebet. Weitere Schüsse. Rumpeln. Über allem glaubte Alex, ein furchtbares Brüllen zu vernehmen.

Seine Gedanken rasten. Was war dort vorne los? Hatte argentinisches Militär das Schiff geentert? Ihm war nicht entgangen, wie froh die Crew von Kapitän Fuentes gewesen war, als der Militärstützpunkt in Ushuaia hinter ihnen lag. Die argentinische Marine war eindeutig etwas, vor dem die Männer größten Respekt hatten; sie scheuten die Begegnung wie eine Katze das Wasser. Aber würden sie so weit gehen, sich mit den Soldaten ein Feuergefecht zu liefern? Und dieses Brüllen ... Alex glaubte nicht, dass er es sich nur eingebildet hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es von einem Menschen stammte; vielmehr rief es Assoziationen zu Bären oder Löwen wach.

Plötzlich war David vor ihm, krallte sich am Türrahmen fest und streckte ihm helfend die andere Hand entgegen. Alex ergriff sie und zog sich daran durch die Tür, gerade, als das Schiff in die andere Richtung abkippte und ihn so förmlich nach vorne schleuderte. Er taumelte einige Schritte in den Gang hinein, bevor er seine Vorwärtsbewegung abbremsen konnte.

Irgendwo über ihnen war ein fürchterlicher Kampf entbrannt. Immer wieder wurde gefeuert, es rumpelte und krachte.

»Alter, hältst du es für eine gute Idee, dir das anzusehen?«

Eine verdammt gute Frage. Aber andererseits ...

»Was sollen wir denn sonst tun? Darauf warten, dass es uns erreicht? Komm schon, vielleicht können wir helfen!«

Sie kämpften sich weiter den düsteren Gang hinab, bis rechts von ihnen der Zugang zur Treppe abzweigte. Die Kampfgeräusche kamen von dort oben. Zu den gelegentlich fallenden Schüssen hatte sich inzwischen das schnelle Rattern einer Maschinenpistole hinzugesellt.

Alex spähte die Treppe empor. Sie mündete etwa dreißig Stufen über ihm in einen Absatz und beschrieb eine Kehre, sodass dort sein Sichtbereich endete. Ein durch häufigen Gebrauch von jeglicher Lackierung befreiter Handlauf war seitlich an der Wand angebracht. Wie der Gang und fast das komplette Innere des Schiffes, so war auch die Treppe nur spärlich ausgeleuchtet. Während Alex versuchte, dem Tumult an ihrem Ende etwas zu entnehmen, blitzte flackerndes Licht hinter der Kehre auf. Wieder ratterte eine Maschinenpistole, ohrenbetäubend laut diesmal. Wer immer dort feuerte, er befand sich dicht oberhalb des Absatzes. Und er kam näher!

»Mann, wir sollten echt ...«

Das Brüllen unterbrach David. Es war unglaublich laut, tief und alles durchdringend. Alex erschauerte bis ins Mark. Was immer dort oben war und den Mann mit der Waffe vor sich die Treppe hinuntertrieb, es musste etwas ganz und gar Fürchterliches sein.

Endlich begriff er.

»Weg hier!«, rief er und packte David am Arm. »Das ist der Agent!«

Bevor David reagieren konnte, peitschte eine weitere Salve durch das Treppenhaus. Jemand schrie: »Santa Maria, aiudame!«

Ein Fauchen antwortete dem Argentinier, dann erklang ein feucht klingendes Geräusch, als habe jemand mit einem nassen Handtuch gegen die Wand geschlagen. Der Mann kreischte unartikuliert. Er feuerte noch zwei, drei kurze Salven ab, bevor die Schussgeräusche und Mündungsblitze vor der Kehre erstarben. Das Kreischen wurde ein letztes Mal verständlich: »No, dios, NOOO!«, dann riss die Stimme abrupt ab.

Stille folgte, in der nur die Motoren zu hören waren. Das Schiff schaukelte auf der aufgewühlten See. Alex´ Oberschenkel brannten von der Anstrengung, die Bewegun­gen abzufedern.

Glühbirnen baumelten an ihren Kabeln umher. In ihrem Licht verformten Schatten jede Ecke zu etwas Bedrohlichem. Alex spürte die Kälte der Schiffsluft nicht mehr. Alles nicht überlebensrelevante war ausgeblendet. Er hörte auf das leiseste Geräusch. Was ging dort oben vor sich? Es war still geworden.

David flüsterte: »Wolltest du nicht weg, Mann?«

Alex legte einen Finger an die Lippen: »Schhh!«

Der Agent hatte sich noch nicht gezeigt. Womöglich hatte er kehrt gemacht. Vielleicht war er von einem von Fuentes‘ Männern verletzt oder gar getötet worden. Wie auch immer, es würde Alex und David wenig nützen, wenn sie zurück in den Speisesaal flohen. Von dort kamen sie nur noch in die Kombüse, und dann säßen sie in der Falle. Die Kombüse war eine Sackgasse.

Sollte Alex es wagen, nach oben zu gehen? Dort lagen bestimmt Verletzte herum, die dringend Hilfe benötigten. Und einer der Treppenabsätze führte zu dem Deck, auf dem sich ihre Kabinen befanden. Er musste nachsehen, ob Jess und Mojo in Ordnung waren.

Alex wollte gerade den Fuß auf die unterste Stufe setzen, als etwas die Treppe herabkam. Es prallte mit einem Klatschen gegen die Wand oberhalb des Absatzes und rollte bis vor Alex´ Füße herunter. An der Wand blieb ein großer, dunkler Fleck zurück, von dem zahlreiche Spritzer ausgingen. Auch die Treppe glänzte nass.

Alex taumelte entsetzt zurück, als er realisierte, was vor ihm lag. Auch David wich zurück und sog scharf die Luft ein. Obwohl der Stoff blutgetränkt und zerfetzt war, konnte Alex das unverwechselbare Tarnmuster erkennen, mit dem das Hemd des Matrosen vor der Tür überzogen war. An dem Torso befanden sich keine Arme mehr; wo sie sein sollten, waren blutige, zerfetzte Stümpfe, in denen weiße Knochen­bruchstücke aufblitzten. Der Kopf selbst war noch an Ort und Stelle, allerdings fehlte eine Seite des Halses. Blutige Wirbel ragten aus dem Fleisch. Es sah aus, als habe etwas Riesiges und Grässliches ein Stück des Mannes abgebissen. Alex riss den Blick von der Leiche, bevor sich die aus dem Torso hängenden Gedärme, die sich teilweise bis hoch zum Treppenabsatz schlängelten, zu sehr in seinen Verstand einbrennen konnten.

Sämtliche Gedanken an Mojo und Jess, an die Verletzten, an jedwede mehr oder weniger durchdachte Handlung waren hinweggefegt. Er wirbelte stöhnend herum und stolperte den Gang hinab. Weil er sich nicht die Zeit nahm, die Bewegungen des Schiffes vorauszuberechnen, wurde er von den Beinen gerissen. Er stieß sich ab, kroch weiter, nur weiter. Die Nieten im Metallboden stachen schmerzhaft in seine Knie und Handflächen, doch er kümmerte sich nicht darum. Da, der Türrahmen! Alex warf sich hindurch, landete bäuchlings auf dem schmutzigen Teppichboden, robbte weiter bis zum nächsten Tisch und zog sich daran empor.

»In die Kombüse!«, schrie er und hielt David eine Hand hin, um ihm aufzuhelfen. Sein Freund nickte knapp; er war kreidebleich. Gemeinsam taumelten sie zwischen den Tischen und Stühlen hindurch, stützten sich mal hier, mal dort ab, rissen dabei Karten und Poster von den Wänden und gingen in die Knie, wenn das Schiff eine besonders hohe Welle nahm.

Alex stieß die weiße Schwingtür mit der kleinen, kreisrunden Scheibe auf. Sie schwang nach innen, prallte gegen den Schrank dahinter und kam ihm wieder entgegen. Er wehrte sie mit dem Unterarm ab und zog David ins Innere der Küche.

Irgendetwas sauste dicht an seinem Ohr vorbei und prallte scheppernd vom Türrahmen ab.

»Alter!«, rief David, »Lass den Scheiß, Mann!«

Es war der Koch. Er hatte sich hinter die zentral im Raum platzierte Arbeitsfläche geduckt. Der Mann zog eben ein neues Messer aus dem Holzblock über sich.

Alex riss in einer allgemein verständlichen Geste der Beschwichtigung die Hände empor, sodass die Handflächen dem Koch zugewandt waren. »Nicht werfen! No, no, comprende?«

Der korpulente Mann in der fleckigen weißen Kleidung, die eigentlich jeden davon abhalten müsste, seine fragwürdigen kulinarischen Kreationen zu kosten, rief ihm etwas auf Spanisch zu und hob ein weiteres Messer an der Klingenspitze, um es nach ihm zu schleudern.

»Nicht, wir sind nicht deine Feinde!« Wie sollte er dem Mann nur verständlich machen, dass er ihm nichts antun wollte? Wenn doch nur Jess hier wäre! ihre Spanischkenntnisse hätten bestimmt ausgereicht, immerhin hatte sie es auch geschafft, den Kapitän zu dieser Fahrt zu überreden.

Dröhnendes, unglaublich hasserfüllt klingendes Gebrüll kam weiteren Beschwich­tigungsversuchen zuvor. Die Augen des Kochs zuckten in Richtung Speisesaal. »Madre de dios«, hauchte er.

»Los, Mann!«, rief David und zog Alex in Richtung Arbeitsfläche. Die Tür schwang hinter ihnen zu. Sie umrundeten die rechteckige Platte und kauerten sich neben den Koch. Der Kerl strich sich unentwegt über den Stoppelbart, während seine andere Hand sich um den Messergriff verkrampfte.

Alex sah sich um. Was gab es in dieser Küche noch, mit dem er sich zur Wehr setzen konnte? Ihm gegenüber stand die große Industrie-Fritteuse, in der das Fett Blasen schlagend kochte. Dann war da noch ein Abfalleimer, über dem eine Horde Fliegen kreiste. Daneben ein riesiger Tiefkühlschrank. Ein Blick nach oben offenbarte zahlreiche Küchen-Werkzeuge, die über der Arbeitsfläche baumelten: Kellen, Spieße, Siebe, Töpfe und Pfannen. Vermutlich war der Messerblock doch die beste Wahl. Er wollte sich gerade aufrichten und nach einem der schwarzen Griffe strecken, als die Tür zur Kombüse mit unglaublicher Wucht aufgestoßen wurde. Die Scheibe zerbarst und zahlreiche Teller in dem Schrank hinter der Tür gingen zu Bruch. Ein weiteres Mal das Brüllen. Es war ohrenbetäubend laut und schien Alex‘ Muskeln zu paralysieren. Großer Gott, wie sollte er diesem Monster nur entkommen?

Der Koch verlor die Nerven. Er sprang auf, kreischte: »Iaaa!«, und warf das Messer. Dann riss er sich ein neues aus dem Block und rannte um die Arbeitsfläche herum.

Weit kam er nicht. Kaum war er um die Ecke und somit aus Alex´ Blickfeld heraus, war ein kurzes Fauchen zu hören. Etwas knirschte. Der Koch schrie auf. Alex konnte nur mit Mühe seine Blase unter Kontrolle halten.

Schmatzende Laute mischten sich mit den Todesschreien des Kochs. Allem Anschein nach wurde er bei lebendigem Leibe verspeist.

Alex sah zu David hinüber. In den Augen seines sonst so unerschütterlichen Freundes stand nackte Angst. Wenn sie nicht schnell etwas unternahmen, waren sie tot. Pistolen, Gewehre und Messer hatten den Agenten nicht aufhalten können; was blieb also noch?

Alex versuchte, in sich hineinzuhorchen, tastete nach Spuren von Gaa in der Luft. Doch was er fand, war viel zu wenig, um damit etwas anzufangen. Sie waren noch viel zu weit von der Antarktis entfernt.

Die Schreie des Kochs wurden zu einem Wimmern. Alex hoffte inständig, dass der Mann nicht mehr bei klarem Verstand war.

Plötzlich sprang David auf und rief: »Komm, Mann!«

Ehe Alex etwas entgegnen konnte, hatte David ihn emporgezogen. Er nahm eine große Pfanne vom Haken und drückte sie Alex in die Hand, dann griff er selbst nach einem Nudeltopf. »Das Fett, Alter!«

Alex verstand, wirbelte herum und tauchte die Pfanne in das brodelnde Frittierfett. David tat mit seinem Topf dasselbe. Die Fressgeräusche hinter ihnen verstummten und wichen einem tiefen, kehligen Fauchen. Alex spürte förmlich, wie die albtraumhafte Gestalt sich aufrichtete und sprungbereit machte. Ohne innezuhalten, schnellte er herum und verteilte den Inhalt der Pfanne mit einer Schleuderbewegung in der Küche. Ebenso David. Es zischte laut. Alex erhaschte einen Blick auf blutbespritzte, warzige Haut. Riesige Muskelpakete zeichneten sich unter ihr ab, ein massiger, gedrungener Körper mit einem breiten Kopf. Er bestand zu großen Teilen aus einem riesigen Maul voll rasiermesserscharfer Zähne. Eine lange Zunge zuckte tastend hervor, kleine, rote Augen blitzten, zusammengefaltete, an den Rändern ausgefranste Schwingen zuckten links und rechts der Kreatur. Dampf stieg auf, wo das Fett sie getroffen hatte. Sie riss das Maul auf und heulte. Mit ihren Pranken versuchte sie, sich vor weiterem Fett zu schützen.

Alex spurtete los. Er nutzte die Abwärtsbewegung des Schiffes, das eben einen weiteren Wellenkamm überwunden hatte, und setzte an dem Agenten vorbei. Er hastete durch die offene Tür, peilte den Gang zur Treppe an.

»Der sieht aus wie ‘ne riesige, kranke Kröte!«, rief David hinter ihm.

Alex antwortete nicht. Sie hatten womöglich nur ein, zwei Sekunden gewonnen und die wollte er nicht vergeuden. Er stemmte sich gegen die Steigung, als das Schiff sich wieder nach oben bog. Hinter dem Speisesaal erreichten sie den Gang. Es ging wieder abwärts. Er ertastete den Handlauf, sprang über die sterblichen Überreste des Mannes in der Armeekleidung und zog sich die Treppenstufen empor. Blutlachen machten den Boden schmierig.

Hinter sich hörte er Gebrüll. Der Agent war keineswegs außer Gefecht gesetzt; wenn der Angriff mit dem Fett überhaupt etwas bewirkt hatte, dann, dass er noch wütender geworden war.

Stufe um Stufe raste Alex empor. Er nutzte den Handlauf, um sich schneller nach oben zu ziehen. Immer wieder rutschte er aus, wenn das Schiff schwankte oder er auf eine dunkle Pfütze trat. Sein Griff um das Geländer gab ihm Halt. Um den nächsten Absatz herum, höher, immer höher ...

Er kam an verschiedenen grauenhaften Dingen vorbei: Verschossene Patronenhülsen, abgetrennte Gliedmaßen, leblose Körper, fallen gelassene Waffen. Und Blut, jede Menge Blut. In Spritzern, Tropfen, Lachen. Er setzte über alles hinweg. In den schlaffen Fingern eines körperlosen Matrosenarmes lag eine Uzi. Er schnappte sie sich.

Wie weit war er inzwischen gekommen? Am nächsten Absatz hielt Alex inne. Ein Schild zeigte an, auf welchem Deck er sich befand.

»Verdammte Scheiße!«, rief er. Die Kabinen lagen bereits hinter ihm. Er konnte unmöglich zurück und Jess und Mojo zu Hilfe eilen. Von unten her näherte sich beängstigend schnell das Rumpeln und Brüllen des Agenten. Zu schnell, um die beiden ernsthaft zu gefährden. Alex mutmaßte, dass der Agent die Kabinen einfach links liegen ließ.

Weiter nach oben!

Es grenzte zwar an Selbstmord, bei diesem Seegang an Deck zu gehen, aber dort fand er vielleicht ein Versteck. Außerdem hätte er freies Schussfeld auf seinen Verfolger. Und mit etwas Glück waren auch einige Matrosen dorthin geflüchtet.

Nach zwei weiteren Absätzen wurde Alex klar, dass David ihm nicht mehr folgte. Wo zum Geier war sein Kumpel abgeblieben? Bevor er sich lange Gedanken machen konnte, rauschte von unten ein rasender Schatten heran. Alex hastete weiter, sprang, rannte, zog sich die Treppenstufen empor. Schließlich erreichte er die korrodierte Stahltür zum Deck. Sie baumelte nur noch an einer Angel. Das Wasser und die Luft fassten nach ihm. Er wünschte, er hätte wenigstens eine Jacke an. Zitternd stolperte er ins Freie.

Bitterkalte Finsternis umfing ihn, einzig erhellt von dem spärlichen Lichtschein aus dem Treppenhaus und den vereinzelten Lampen, die an bestimmten Punkten entlang der Reling angebracht waren. Wie ein rostiges Fußballfeld erstreckte sich die Oberfläche des Tankers zu seinen Füßen. Er sah so gut wie nichts davon. Alles schien aus dem Brodeln des Wassers, dem Fauchen des Windes und dem Dröhnen der Brecher, die gegen den Schiffsrumpf brandeten, zu bestehen. Alex wankte vorwärts. Gischt schlug ihm ins Gesicht. Salzwasser brannte in seinen Augen und nahm ihm die Sicht. Er musste weg von dem Treppenhaus! Wenn er es schaffte, in der Dunkelheit unterzutauchen, fand ihn der Agent möglicherweise nicht.

Seine Zähne klapperten. Jeder Atemzug brannte schmerzhaft in den Lungen. Der Boden sackte immer wieder ab, nur, um sich ihm Sekunden später entgegen zu schleudern. Alex wurde auf alle viere geworfen, robbte weiter, schleifte die Waffe mit sich.

Trotz des Windes und des brodelnden Wassers hörte er das Gebrüll hinter sich. Es war viel zu nahe; er konnte noch nicht weit genug gekommen sein. Alex wälzte sich auf den Rücken.

Zwanzig Meter hinter ihm gähnte die zerstörte Tür. Ein massiger, dunkler Schemen füllte sie aus. Alex hob die Waffe. Er betete darum, dass sie nicht gesichert oder leergeschossen war und betätigte den Abzug. Seine Hand schleuderte nach oben. Die Uzi spie eine lange Salve aus. Die Kugeln zogen eine Spur aus Beulen über die Decksaufbauten.

Der Agent taumelte, brüllte, trat hinaus aufs Deck. Alex feuerte erneut und versuchte, sich mit den Füßen abzustützen und den Arm ruhig zu halten. Wieder traf er, und wieder erntete er als Reaktion nur ein noch zornigeres Brüllen. Dann versiegte das Rattern der Waffe. Frustriert warf er sie in die Dunkelheit, wo sie einige Meter abseits polternd aufkam.

Der Agent zeichnete sich als dunkler Umriss vor der Tür ab. Er neigte sich vornüber und entfaltete seine Schwingen.

Er nimmt Maß, um zu mir rüberzugleiten!

Mit dieser Art der Fortbewegung war der Agent Alex haushoch überlegen.

Alex warf sich herum und versuchte, wieder auf die Füße zu kommen. In diesem Moment traf ein gigantischer Brecher den Tanker, peitschte mit Gischtfingern über das Deck und hieb auf Alex ein. Er wurde mitgerissen, kein Halt, Panik und eiskaltes Salzwasser in seinem schreienden Mund, oben, unten, alles eins und schwarz wie Tinte.

Wo der stählerne Boden ihn traf, war dumpfer Schmerz, schon halb betäubt von der Kälte. Er überschlug sich mehrmals und prallte mit Wucht gegen etwas Hartes. Der letzte Rest seines Atems wurde ihm aus den Lungen getrieben. Als er verzweifelt inhalierte, rechnete er halb damit, stattdessen Meerwasser einzusaugen. Doch da war wieder Luft! Obwohl sie eisig war, sog er sie gierig ein.

Alex rieb sich das Wasser aus den Augen. Er war bis an die Backbordrehling gespült worden, mehr als zwanzig Meter quer über das Deck. Der Türrahmen war inzwischen leer.

Alex hielt sich an der Reling fest, atmete mehrmals tief durch, hustete und versuchte, zu Kräften zu kommen. Vielleicht konnte er zurück zur Treppe. Damit rechnete der Agent bestimmt nicht. Möglicherweise fand er weiter unten ein paar Männer und ...

Trotz der Dunkelheit nahm er irgendwie den Schatten wahr. Alex ließ sich fallen. Der Agent schoss über ihn hinweg, so dicht, dass er dessen warzige Haut über seine Haarstoppeln gleiten spürte. Das Monster breitete die Flügel aus, um seinen Flug abzubremsen, dann war es wieder in der Dunkelheit verschwunden.

Die Treppe!

Alex wankte los, ruderte mit den Armen. Hinter ihm das Brüllen. Viel zu nahe. Irgendwie schaffte er es, seine Schritte zu beschleunigen, doch es war mühsam, unendlich mühsam. Die Kälte war in jede Zelle seines Körpers gekrochen und entzog ihm Kraft und Wärme. Seine Beine fühlten sich taub an, die Arme zitterten. Das Brüllen wurde lauter. Alex warf einen Blick über die Schulter und sah einen gedrungenen Schatten, der sich sprungbereit machte.

Die Treppe ...

Noch zehn Meter. Er würde es nicht schaffen.

Ein seltsamer Umriss erschien in der Tür. Er sah aus wie ein Mensch, allerdings stimmte etwas mit seinem Rücken nicht. Er war bucklig, wie eine Art Quasimodo. Und er hielt etwas Großes in den Händen.

(...)