In dunklen Ecken: Abgründige Geschichten

 

Leseprobe

 

Ein Auszug aus der Geschichte "Omega Tau 3"

 

 

Akustische Botschaft, gesendet am 03.02.2081, 21.32 Uhr eurasische Standardzeit

 

Hi Babe!

Ich hab' lange darüber nachgedacht, wie ich diese Nachricht anfangen soll und mir dann gedacht, ich bin einfach ehrlich: Ich vermisse dich!

Das kommt dir jetzt bestimmt ziemlich dämlich und egoistisch vor, immerhin hab ich die letzten neun Monate im Kälteschlaf verbracht und nicht mitgekriegt, wie die Zeit verging. Für dich liegt unser Abschied also verdammt viel länger zurück. Und trotzdem stimmt es! Mir wär‘s am liebsten, wenn ich mich gleich wieder auf den Rückweg machen könnte.

Aber du hast dir von meinem ersten Lebenszeichen sicher mehr erhofft als Gejammer. Es ist hier ziemlich aufregend, und ich werde versuchen, dir alles zu erzählen.

Das Aufwachen war nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Es war schlimmer. So hab' ich zum letzten Mal gekotzt, als wir in der Unterstadt waren und mein Atemfilter ausgefallen ist. Hat sich angefühlt, als würde der Magen gleich mit hochkommen, echt nicht schön.

Aber immerhin ging bei mir sonst alles gut. Drei Plätze weiter lag eine arme Sau, deren Cryo-Modul eine Fehlfunktion hatte. Der Mann hat’s überlebt, aber eins seiner Beine war steifgefroren bis hoch zu den Eiern. Dr. Sherman, unser Arzt, hat bestimmt noch mehr gekotzt, als er sich gleich nach dem Aufwachen darum kümmern musste. Der Kerl liegt jetzt im Koma. Hat 'ne Menge Blut verloren, braucht eine Prothese und wird niemals Kinder zeugen, zumindest nicht ohne Petrischale.

Ein anderer Typ ist nicht wieder aufgewacht. Sherman sagt, dass er einfach im Schlaf gestorben ist, wie das halt manchmal passiert. Aber sie haben uns die Anzeigen seines Cryo-Moduls nicht lesen lassen. Vielleicht ist an den Gerüchten, dass die Dinger nicht so ganz sicher sind, ja doch was dran.

Der Mann im Modul rechts von mir heißt Roulé, und ich denk', mit dem kann man gut auskommen. Verbrüdert irgendwie, wenn man sich gegenseitig die Kotzeimer hinhält. Kommt aus Frankreich, wie du dir bei seinem Namen bestimmt schon gedacht hast, aus einer der weniger verstrahlten Gegenden. Hat ein paar Narben von Geschwüren, manchmal zuckt sein Gesicht komisch und an einer Hand ist ein Daumen zu viel, aber die Froschfresser-Docs haben ihn ganz gut hinbekommen. Er will mit seiner Familie umsiedeln, irgendwohin weit weg vom Fallout. Süditalien ist wahrscheinlich zu voll, aber er sagt, dass er schon immer ein Glückskind war. Und wer weiß, vielleicht kann er mit der Kohle, die er für diese Unternehmung einstreicht, tatsächlich was bewirken.

Außerdem ändert sich auf der Erde bestimmt einiges, wenn wir hier erfolgreich sind. Der mittlere Westen soll noch größtenteils unverstrahlt sein. Großartig Industrie gibt’s da auch nicht. An manchen Tagen sollen die dort ohne Filter rumlaufen, das muss man sich mal vorstellen! Aber wahrscheinlich ist das Propaganda, was? Die würden uns doch alles erzählen, um uns neidisch zu machen. Trotzdem wär‘s klasse, wenn die Schlitzaugen einknicken und den Kontinent an uns abtreten würden. Also ich könnt' mir ein Leben dort gut vorstellen. Was denkst du? Immerhin sind wir bald reiche Leute.

Ein paar Minuten vor der Landung haben sich die Schotts geschlossen, aber vorher konnte ich kurz rausschauen. Mir war eh schon flau im Magen, aber als ich gesehen hab', wie schwarz es um uns ist, wurde es gleich wieder schlimmer. Die Sterne sind alle so weit weg, es ist, als würden wir in 'nem verdammt tiefen Loch sitzen. Und der Felsen ist das Dunkelste überhaupt, noch schwärzer als schwarz. Klar wusste ich, dass hier draußen kein Licht sein würde, das wir nicht selbst mitbringen, immerhin ist Omega Tau 3 ein verdammter Exoplanet. Aber dieses … dieses Ding dort vor sich zu sehen … es eigentlich nicht wirklich zu sehen, sondern eher als etwas wahrzunehmen, das fehlt, nämlich das schwache Funkeln der Sterne, an das man sich klammern möchte, weil man sich hier so verdammt isoliert vorkommt … ich will nicht wie eine Memme klingen, aber das war ziemlich unheimlich.

Dann gingen, wie gesagt, die Schotts zu, wir haben uns angeschnallt und die Landung wurde eingeleitet. Mann, war das ein holpriger Ritt! Hankson, der Vorarbeiter, konnte auf ein paar der Kontrollen in der Brücke schielen und hat was erzählt von: »Ist ja voller Löcher! Hier hat bestimmt schon einer gebohrt. Das kann doch nicht nur von Asteroiden kommen …«

Was für ein Idiot. Als ob vor uns schon mal jemand so dämlich war, einen Fuß auf den gottverlassenen Stein zu setzen.

Irgendwie haben die Bosse uns runtergebracht. Die Container standen auch größtenteils, scheinbar hat das mit der unbemannten Sonde funktioniert. Ein paar der Dinger mussten wir aber instand setzen und zwei können wir ganz vergessen, weil der Boden unter ihnen nachgegeben hat und sie teilweise eingebrochen sind. Wie es scheint, ist Omega Tau 3 löchrig wie ein Schweizer Käse. Das haben die Bosse nicht erwartet, ich konnt' ihnen ansehen, wie erstaunt sie waren. Aber sie denken jetzt auch, dass wir hier noch mehr finden als erwartet, denn solche Hohlräume könnten schließlich mit was gefüllt sein.

Wir müssen also ein bisschen zusammenrücken. Ich hab' eine Kabine mit Roulé und 'nem Typen aus Deutschland, den wir beide nicht wirklich mögen, zugeteilt bekommen, Hauser heißt der glaub' ich. Ich hoffe, dass wir nie gleichzeitig Schicht haben, denn im Container wird’s sonst verdammt eng.

Nachdem wir die Energieversorgung hergestellt, alle Module luftdicht verschweißt und einen anständigen Innendruck hergestellt hatten, war erst mal Feierabend. Jetzt sitz' ich hier, zusammen mit Roulé – Hauser gehört zu den Schweißern und muss dabei helfen, die eingebrochenen Container zu zerlegen, hehe – und gucke mir durch die Schotten die Planetenoberfläche an.

Bevor sie die Leuchtgloben hochgelassen haben, gefiel’s mir fast besser. Roulé hat’s ganz gut beschrieben, als er gesagt hat: »Sieht aus wie der böse Stiefbruder vom Mond.«

Morgen hab' ich Spätschicht, dann werden Probebohrungen gemacht. Ich hoffe, wir finden bald was, und ich hoffe, dass das verdammte Zeug nur so sprudelt. Sobald unsere Tanks voll sind, geht’s schließlich nach Hause und ich seh' dich wieder. Ich vermiss' dich unendlich und liebe dich noch viel mehr. Melde mich wieder, sobald ich 'nen Kanal bekomme!

Kuss,

Sergej